Mehr Behinderte in der Werbung

Es ist kein Geheimnis, dass es keine Behinderten in Deutschland gibt. Zumindest könnte man das glauben, wenn man so durch die Straßen läuft, sich deutsches Fernsehen anguckt oder deutsche Magazine ansieht. Das ändert sich nur langsam.
Werbespots mit Blinden scheinen mittlerweile fast in zu sein. Zumindest haben wir schon mal zwei davon.


Vor längerer Zeit hatte auch der mittlerweile verstorbene Sänger Ray Charles Werbung für ein Cola-Unternehmen gemacht, aber Ray war berühmt und zählt deshalb nicht.

Kritik – wo sie angemessen ist

Natürlich kann man immer Kritik üben. Bei dem Unterwäsche-Werbespot fand ich die Kritik, dass sie kein blindes Model genommen haben nachvollziebar. Die Firma sagt zwar, sie habe gesucht und nicht gefunden, aber das sie wirklich kein geeignetes blindes Unterwäsche-Model gefunden haben, halte ich zumindest für unwahrscheinlich.
Der Haarfärbe-Werbespot ist offensichtlich nicht für Blinde und Sehbehinderte gemacht. Ich ahne zwar, dass es sich um Werbung für Haarfärbemittel handelt, aber welche Marke es ist, bleibt das Geheimnis der Macher. Aber das Model ist tatsächlich blind.
Es gibt noch das Beispiel Stephen Hawking. Hawking ist öfter bei den Simpsons, Futurama, Raumschiff Enterprise und anderen Serien aufgetreten. Hawking ist selbst zu einer Kultfigur geworden, sicher ein Ergebnis seiner Muskelerkrankung und seiner wissenschaftlichen Leistungen gleichermaßen. Hawking wird sich auch nicht großartig um die Kritik geschert haben, die ihm aus den Communities vielleicht entgegen geschlagen ist.
Was mich zu meiner eigentlichen Frage bringt: Darf man Behinderte in der Werbung zeigen? Klar, warum nicht, werden viele sagen. Die Frage impliziert aber zwangsläufig eine weitere Frage: Darf man Behinderte als Eyecandy benutzen, also als Blickfänger, als Mittel, um Aufmerksamkeit zu bekommen?
Der Hintergrund ist recht simpel. Der Sehende wird tagtäglich mit tausenden von Werbebotschaften bombadiert. In diesem stetigen Strom an Informationen muss man schon etwas besonderes tun, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Und gerade dies wird an der Werbung kritisiert, allgemein setzt die Werbung zu sehr auf Erotik oder andere subtile Reize wie den Geiz der Menschen.
In diese Kerbe schlug auch die Pressemitteilung eines österreichischen Blindenverbandes, die leider nicht mehr online zu finden ist. Der Palmmers-Spot wurde kritisiert, weil er Blindheit als Werbemittel einsetzt und weil Blinde so arm seien, dass sie sich keine Unterwäsche leisten könnten. Man kann allerdings sagen, dass der Schuss nach hinten losging, der Verein selbst sah sich aufgrund seiner Aussagen Kritik vor allem durch blinde Menschen ausgesetzt und zog vermutlich deshalb seine im übrigen handwerklich schlecht gemachte Pressemitteilung zurück.
Man mag das als Auftraggeber leugnen, aber tatsächlich wird durch die Darstellung von Behinderten Aufmerksamkeit erregt. Es geht gar nicht anders, weil Werbung nur so funktionieren kann. Niemand will sehen, wie eine Familie sich morgens Marmelade aufs Brot schmiert, es interessiert keinen, welche Unterwäsche jemand trägt und womit er sich die Haare färbt. Werbung funktioniert nur über Aufmerksamkeit – das gilt natürlich auch für jede andere Form der Kampagne, ob kommerziell oder caritativ.
Es ist leider auch so, dass die meisten Medien über Klischees funktionieren. Klischees haben den Vorteil, dass sie sofort ein – vielleicht verzerrtes – Bild im Kopf des Konsumenten entstehen lassen. Wer es schafft, in 25 Sekunden eine Message zu vermitteln, ohne mit Klischees zu spielen, der bekommt von mir den Oskar für Werbung. Und an vielen Klischees ist auch etwas wahres. Ob Blinde nun besser hören oder fühlen oder ob sie ihr Gehör und ihre Sensitivität besser trainieren, ist ein Unterschied, der in im Ergebnis aber keine Rolle spielt. Darauf herumzureiten verkennt die Realität, dass die meisten Menschen keine Ahnung von Blindheit haben und sich damit auch nicht beschäftigen werden, wenn man sie mit solchen Haarspaltereien angeht. Welcher Journalist wird noch einen Artikel über Behinderte schreiben, wenn er 3000 Kommentare bekommt, die sich darum drehen, dass er taubstumm statt gehörlos geschrieben hat? Ich bin selber behindert und würde in einem solchen Fall einfach keinen Artikel mehr über Behinderte schreiben, denn kurioserweise beschwert sich dann niemand bei mir. Dazu kommt, dass sich die meisten Leute nicht auf höfliche Hinweise beschränken, sondern gleich persönlich werden.

Dabei sein oder nicht dabei sein – man kann nicht alles haben

Es gibt reichlich Kritik, wenn Behinderte irgendwo gezeigt werden. Und dann gibt es Kritik, wenn Behinderte aus dem öffentlichen Leben verbannt werden. Man kann aber nicht beides haben, man kann es nicht allen recht machen. Ich fasse mal gewohnt provokant die Kritik zusammen:

Man kann das alles akzeptieren, das heißt aber im Ergebnis, dass gar keine Behinderten mehr in Werbung oder im Fernsehen allgemein zu sehen sind, denn es gibt keine Story ohne Protagonisten, ohne Helden, ohne Opfer und ohne Nebendarsteller. Aber auch das jegliche Fehlen von Behinderten ist den Damen und Herren nicht recht.
Das Motto scheint zu lauten: „Ich back mir die Welt, wie sie mir gefällt“. Aber man wird den Teufel tun, die kruden Anforderungen der Behindertenverbände zu erfüllen. Zum einen kommt da Wischiwaschi-ich-will-niemandem-was-böses bei raus, was bestenfalls als Einschlafhilfe gesendet werden kann. Zum anderen wird es immer von irgendeiner Seite Kritik geben, das ist so unvermeidlich wie der Sonnenuntergang. Um wie vieles ist es da doch einfacher, gleich ganz auf Behinderte zu verzichten, statt die Maximalforderungen der Verbände zu erfüllen.
Die Firma Beneton erregte vor vielen Jahren große Aufmerksamkeit, als sie Fotos von AIDS-kranken Menschen in ihrer Kampagne einsetzte. Was darauf folgte war sozusagen ein Shitstorm im Prä-Web-Zeitalter, ich war damals noch recht jung, kann mich aber noch an die heftige Kritik erinnern. Die Provokation war natürlich Teil der Kampagne, aber selbst Benneton dürfte von der Vehemenz der Reaktionen üerrascht gewesen sein. Wäre es uns aber tatsächlich lieber gewesen, wenn Benneton Werbung mit Supermodels macht, um seine Textilien zu verkaufen und damit keine Aufmerksamkeit auf das damals brennende Thema HIV gelenkt hätte? Die Antwort der Community scheint ja zu sein.Wobei es weniger die Community ist und eher einzelne Stimmen, die dafür um so lauter sind.
Was ich natürlich auch nicht akzeptabel finde ist Werbung, die sich über Behinderte lustig macht. Solche Dinge passieren immer wieder, aber das gehört eben zur Medienfreiheit dazu, es lohnt sich kaum, sich darüber aufzuregen.
Am Ende ist es die Entscheidung des jeweiligen Darstellers, wie er sich präsentieren möchte. Es gibt zum Beispiel keinen grund, warum ein blinder Schauspieler kein sehendes Unterwäschemodel spielen sollte. Und wenn ein Mensch mit einer Contergan-bedingten Schädigung in einer Gerichts- oder Quizshow mitspielen möchte, ist das allein seine Sache. Manche Leute mögen es einfach, sich zu präsentieren und einige können das auch besser als andere. Oft genug scheint mir auch eher Mißgunst oder Neid Grundlage der Kritik zu sein. Manche Leute etragen es einfach nicht, dass andere berühmt und erfolgreich sind und sie selber nicht. Als Joana Zimmer in der RTL-Tanzshow auftrat, meine ich auch, vielerorts diese Abneigung herausgelesen zu haben. Es ist aber allein ihre Sache, wie sie mit ihrer Blindheit umgeht und wie sie in der Öffentlichkeit auftritt.
Es sind aber gerade diese Auftritte von Joana und anderen, die überhaupt erst das Interesse einer größeren Zahl von Menschen auf die Blindheit lenken. Vorher hat sich kaum jemand damit beschäftigt. Joana erreicht also in einer halben Stunde mehr Menschen als der Blindenverband in einem Jahr harter Pressearbeit.
Außerdem ist es auch eine gute Idee, seine eigene Behinderung als Mittel zu nutzen, um Aufmerksamkeit zu generieren. Wie ich oben schon sagte, nur das Besondere erregt Aufmerksamkeit, das Alltägliche interessiert niemanden. Und da die Behinderung etwas besonderes ist, kann man aus diesem Manko durchaus einen Vorteil ziehen.
Deswegen fordere ich die gesamte Palette: blinde Täter und Opfer, blinde Helden, Blinde als Komparsen im Fernsehen, in der Werbung und überall sonst. Wenn es das nicht gibt, ist die Inklusion als gescheitert zu betrachten.