Im folgenden möchte ich einen Ansatz vorstellen, wie mit offenen und strukturierten Daten die Mobilität von Menschen mit Behinderung verbessert werden kann. Der hier vorgestellte Ansatz ist die Bereitstellung von Informationen zur Barrierefreiheit von Gebäuden oder anderen Einrichtungen als offene strukturierte Daten.
Status Quo
Menschen mit Sinnes- oder Körperbehinderung stehen häufig vor dem Problem herauszufinden, ob ein Gebäude oder eine Einrichtung wie ein Park barrierefrei nutzbar sind. Je nach Behinderung geht es dabei um unterschiedliche Fragen, hier einige Beispiele:
- Ist der Zugang mit einem Rollstuhl möglich?
- Gibt es rollstuhlgerechte Fahrstühle und Toiletten?
- Gibt es Stufen oder andere Hindernisse, die die Bewegungsfähigkeit einschränken?
- Gibt es Einrichtungen, die die Kommunikation für Hörgeräteträger erleichtern?
Bei einigen städtischen Behörden finden sich solche Informationen als Text auf den Webseiten. Diese Informationen sind oft unvollständig, veraltet oder schlicht falsch. Die Rollstuhlgerechte Toilette wird als Abstellraum genutzt, der rollstuhlgerechte Zugang wird durch eine Baustelle unbenutzbar, die Audioschleife ist seit fünf Jahren kaputt und so weiter.
Andere Einrichtungen wie Restaurants, Pensionen oder Parks stellen solche Informationen gar nicht erst bereit, so dass sie nicht zur Verfügung stehen. Wer die Geduld aufbringt, bei den Einrichtungen anzurufen erhält keine brauchbaren oder falsche Informationen.
Über Projekte wie Wheelmap oder spezielle Datenbanken können Informationen zur Barrierefreiheit einiger Einrichtungen abgerufen werden. Auch hier ergeben sich einige Probleme:
Der Datenbestand insbesondere bei vielen Datenbanken ist so gering, dass er praktisch nicht relevant ist.
Die Informationen auf Wheelmap können falsch oder veraltet sein. So lobenswert das Engagement der Teilnehmer ist, ihre Einschätzung bezüglich der Barrierefreiheit eines Ortes kann falsch oder lückenhaft sein.
Strukturierte Daten als Lösungsansatz
Es gibt also zwei Voraussetzungen, die Daten über Barrierefreiheit erfüllen müssen: Sie müssen zum einen möglichst vollständig, genau und korrekt sein und sie müssen andererseits aktuell gehalten werden. Beide Voraussetzungen werden am ehesten erfüllt, wenn die Daten von dem Einrichtungsbetreiber selbst bereit gestellt werden.
Ein mögliches Format dafür ist die Extensible Markup Language (XML). XML hat den Vorteil, eine einfache und weit verbreitete Sprache für strukturierte Informationen zu sein.
Das Format ist erweiterbar, neue Kriterien können jederzeit hinzugefügt werden, ohne dass ältere Datensätze inkompatibel werden.
Mögliche Probleme
Der erste Einwand könnte lauten, dass es nicht möglich ist, solche Daten zentral bereit zu stellen. Das sollte aber kein Problem sein. Schon heute stellen viele Websites aktuelle Nachrichten als RSS-Feed bereit. Bei RSS handelt es sich um ein XML-basiertes Format, das von zahlreichen Anwendungen verarbeitet wird.
Auch Datenschutzbedenken sollten keine Rolle spielen, die Informationen über die Barrierefreiheit eines Gebäudes oder anderen Einrichtungen dürfte von keiner Datenschutzregelung tangiert werden. Zudem geht es in erster Linie ohnehin nur um die öffentlich zugänglichen Bereiche der Einrichtungen. Daher dürfte es auch keine Sicherheitsbedenken geben.
Das Problem dürfte eher darin bestehen, die Einrichtungen dazu zu bringen, diese Daten einmal bereit zu stellen. Deutschland ist nach wie vor konservativ, wenn es um offene Daten geht. Über die Service-Orientierung von behörden braucht man hierzulande nicht zu sprechen, die gibt es schlicht nicht.
Öffentliche Einrichtungen sollten am ehesten von dem Konzept überzeugt werden können. Es dürfte ein recht großer Arbeitsaufwand sein, die Anfragen von Bürgern zur Barrierefreiheit der Einrichtungen zu beantworten. Durch Regelungen zur Gleichstellung, Barrierefreiheit oder Integration von Menschen mit Behinderung sind sie häufig dazu verpflichtet, die Zugänglichkeit sicher zu stellen. Entsprechend können permanente oder temporäre Probleme in diesem Bereich zu Ärger und Frustration auf beiden Seiten führen.
Die Stadt als solche profitiert ebenfalls davon. Viele Regionen haben sich auf den barrierefreien Tourismus spezialisiert. Auch für ausländische Besucher ist es eine große Erleichterung, weil die Daten nicht speziell übersetzt, sondern von einer mobilen Anwendung automatisch verarbeitet und in die Sprache des Benutzers übersetzt werden können. Das ist eben der Vorteil standardisierter strukturierter Daten.
Kommerzielle Unternehmen profitieren ebenfalls davon. Auch Rollstuhlfahrer wollen zum Friseur, in die Pizzaria oder Kneipe. Gerade in Zeiten, wo die klassischen Fußgängerzonen durch eintönige Shopping Malls ersetzt werden sollten die Unternehmen in der Innenstadt nicht so kurzsichtig sein, auf behinderte Kunden verzichten zu wollen.
Warum offene Daten?
Offene und strukturierte Daten ermöglichen ganz neue Nutzungsszenarien. Da viele Behinderte bereits Smartphones und ständigen Internet-Zugang haben, können sie diese nutzen, um ihre Mobilität zu verbessern. Es wird zum Beispiel einfacher, spontan nach barrierefreien Cafés in der Umgebung zu suchen.
Offene Daten können in bestehende Systeme wie Google Maps, OpenStreetMap oder Wheelmap integriert werden. Die zahlreichen Navigations-Apps können die Daten ebenfalls integrieren. Zudem können neue Anwendungen von der Community entwickelt werden, um diese Daten nutzergerecht auszuwerten.
Der spezielle Vorteil von XML besteht auch darin, dass alle XML-Dialekte sehr frei miteinander kombiniert werden können. Googles Kartendienste zum Beispiel basieren auf KML, einer Sprache für Geodaten. Es gibt XML-Sprachen für Augmented Reality, Nahverkehrspläne von Bus und Bahn ließen sich problemlos in einer XML-Sprache bereit stellen. Die Kombination von Informationen aus verschiedenen Quellen erweitert die Nutzungsmöglichkeiten deutlich.
Aufbau und Pflege der Daten
Die Daten müssten zumindest einmal vollständig erhoben werden. Zu diesem Zweck können qualifizierte Mitarbeiter mit Fragebögen oder Checklisten ausgestattet werden, um die Informationen möglichst genau zu erfassen. Im nächsten Schritt werden die Daten in das System eingepflegt, dies kann über ein standardisiertes HTML-Formular geschehen. Denkbar wäre aber auch, eine spezielle mobile Anwendung für diesen Zweck zu entwickeln. Die Anwendung könnte auf Wunsch genaue Anweisungen zur Erhebung der Daten geben oder wenn eine Frage genauere Informationen erfordert diese Informationen bereit stellen.
Sind die Daten einmal erhoben, muss darauf geachtet werden, dass sie auch aktuell bleiben. Grundsätzliche Veränderungen an der Bausubstanz kommen selten vor, so dass nicht so oft größere Anpassungen nötig sind. Sollten sich dennoch Änderungen oder temporäre Probleme ergeben, können diese ebenfalls über ein HTML-Formular eingepflegt werden. Der Vorteil liegt darin, dass die zuständige Person nicht über spezielle Programmier- oder Datenbank-Kenntnisse verfügen muss. Der zuständige Redakteur trägt permanente oder temporäre Hindernisse ein und kann Informationen zu Alternativen bereit stellen.
Folgendes Nutzungsszenario wäre denkbar: ein Rollstuhlfahrer trägt alle Einrichtungen, die er regelmäßig aufsucht in einer Anwendung ein, zum Beispiel seine Fakultät, einen Bahnhof und ein Café. Wenn sich eine temporäre Änderung wie ein defekter Fahrstuhl ergibt, bekommt er per Pull unmittelbar über diese Anwendung eine Warnung angezeigt und kann sich eine Ausweichstrategie überlegen. Natürlich kann ihm die betroffene Einrichtung über diese Meldung auch einen Link zukommen lassen, über den er weitere Informationen etwa über eine Ausweichmöglichkeit erhält.
Das Gleiche ist denkbar für Baustellen, Behindertenparkplätze, Aufzüge von U-Bahnen und jedes andere begrenzte Areal.
Aus den erstellten Daten wiederum kann automatisch ein Barrierefreiheitsbericht in Textform für die Website generiert werden. Damit ist sichergestellt, dass auch normale Internetnutzer Zugang zu diesen Informationen haben. Da der Bericht dynamisch generiert werden kann erfasst er auch permanente oder temporäre Veränderungen unmittelbar, nachdem sie eingetragen wurden.
Damit wird auch eine stärkere Bewusstseinsbildung für die Barrierefreiheit möglich. Behinderung und Barrierefreiheit werden oft nicht mitgedacht, weil die Betroffenen sich mit dem Thema nicht beschäftigen müssen. Wenn sie aber eine Datenbasis aufbauen und pflegen müssen, kommen sie daran kaum vorbei.
Forschungsbedarf
Wenn jeder sein eigenes Datensüppchen kocht, stehen wir am Ende nicht besser da als jetzt. Grundsätzlich wissen wir, welche Daten wir benötigen, sie stehen alle in verschiedenen DIN-Normen und anderen für Normalos unverständlichen Spezifikationen. Nötig ist vor allem die Entwicklung einer einheitlichen Sprache, um diese Mobilitätsdaten zu beschreiben. Wir brauchen eine Mobility Markup Language. Die sollte am besten nicht von den üblichen Verdächtigen Gremien entwickelt werden irgendwie bezweifle ich, dass die Behinderten noch mal 10 bis 20 Jahre auf Verbesserungen warten möchten. So oder so, ein Fortschritt in diesem Bereich wäre wünschenswert, mein Eindruck ist, dass wir trotz aller technischen Fortschritte bei der Mobilität im Jahr 1999 fest stecken.
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