image-3863″ />Seit vielen Jahrzehnten ist klar, dass die Alterung der Bevölkerung voran schreitet. Doch ist weder der Staat noch die Privat-Wirtschaft darauf eingestellt. Dieses Problem wird uns sehr bald auf die Füße fallen, wie ich in diesem Beitrag zeigen möchte.
Es hat schon etwas Fatalistisches: Einerseits wissen wir, dass die Alterung stattfindet und mit welchen Problemen ältere Menschen zu kämpfen haben. Andererseits schlafen wir munter weiter und bereiten uns nicht darauf vor, obwohl wir die Zeit und die Ressourcen dazu hätten.
Die Folgen des Alters
Natürlich ist das Alter an sich kein einheitliches Phänomen, deswegen lässt sich auch nicht exakt angeben, welche Person in welchem Alter von welcher Einschränkung betroffen sein wird. Die Folgen sind von vielen weiteren Faktoren wie Prävention, Gesundheits-Versorgung, Lebensstil, finanzieller Situation und so weiter abhängig.
Außerdem hat sich das Alter deutlich verändert: Eine heute 60-jährige Person ist im Schnitt vermutlich gesünder als es ihre Altersgenoss:Innen vor 20, 40 oder 60 Jahren waren.
Doch sind einige Faktoren klar: Ich kenne keine Person, deren Sinnes-Wahrnehmung, Beweglichkeit, Reaktions-Fähigkeit oder kognitive Verarbeitung im Alter besser geworden ist. Mit regelmäßigem Training und Kompensations-Strategien lässt sich viel erreichen. Aber früher oder später kommt ein Punkt, an dem es unweigerlich schwieriger wird.
Fatalerweise könnte dieser Punkt für uns Büro-Menschen, spöttisch homo büronicus genannt, früher kommen als für die Körperarbeiter. Man muss die Akkord-Arbeit in der Fabrik, die Maloche in den Zechen oder die Schufterei auf dem Bau nicht verherrlichen. Doch auch Büroarbeiter sind mit Haltungsschäden durch eine ungesunde Körperhaltung konfrontiert. Das ständige Starren auf nahe Objekte wie Bildschirme und Smartphones und die damit verbundene ungesunde Körperhaltung wird nicht ohne Folge bleiben.
Herausforderungen des Alltags
Treppen sind für Rollstuhlfahrer natürlich unüberwindbar, aber auch für Rollator-Nutzer. Sie sind aber auch für Menschen mit leichten Gang-Unsicherheiten oder Schwindel-Anfällen gefährlich. Für einen älteren Menschen kann ein Sturz lebensgefährlich sein, er kann aber auch durchaus dazu führen, dass die Person durch Knochenbrüche immobil wird. Schon die Angst davor kann verhindern, dass die Betroffenen eine Treppe nehmen. Wer aber keine Treppe nehmen möchte, muss oft große Umwege auf sich nehmen. Wenn man ohnehin ein langsamer Verkehrsteilnehmer ist, kostet das also zusätzlich noch mehr Zeit. Man denke in dem Zusammenhang auch an die vielen geländerlosen Treppen, die es etwa auf Wanderwegen gibt.
In diesem Zusammenhang ist leider auch das Trauerspiel Deutsche Bahn zu sehen, die meisten Konkurrenten scheinen im Nahverkehr auch nicht besser zu sein. Außer beim Fahrradabteil ist es stets notwendig, Treppen zu steigen und einen größeren Abstand zwischen Zug und Gleis zu überwinden. Die Mobilitätshilfe der Deutschen Bahn kann man unter der Kategorie „Gut gemeint“ abheften: Kein Nicht-Behinderter würde sich sagen lassen, er müsse 24 Stunden vorher Bescheid sagen, welchen Zug er nutzen wolle, solle 20 Minuten vorher sich am Reisezentrum einfinden und gefälligst dann fahren, wenn das Personal Dienst hat. Ein weiteres Thema sind die häufig lange Zeit defekten Fahrstühle. An den kleineren Bahnhöfen auch in den Großstädten gibt es häufig gar keine Hilfen oder Aufzüge.
Das sind Artefakte, könnte man sagen: Überbleibsel aus der Vergangenheit. Schließlich fahren Züge sehr lange Zeit. Das ist leider falsch: Noch heute werden Züge mit Stufen eingekauft und zu wenig Rollstuhlplätzen/WC’s eingekauft, die wahrscheinlich in zehn Jahren immer noch fahren werden.
Eine Herausforderung wird das auch für die Gastronomie in den Altstädten: Während die Restaurants selbst oft ebenerdig sind, befinden sich die Toiletten häufig im Kellergeschoss, welches über eine gewundene Treppe erreichbar ist. Und das gilt leider auch für viele andere Freizeit-Einrichtungen.
Auch die Arbeitsplätze befinden sich häufig in Altbauten. Sie barrierefrei umzugestalten ist zumindest schwierig. Ein Treppenlift lässt sich vielleicht noch einbauen. Aber um eine rollstuhl-gerechte Toilette einzubauen, muss häufig der Zuschnitt der Räume geändert werden.
Selbiges gilt leider auch für Arztpraxen. Mit Ausnahme eines meiner Ärzte befinden sich alle in Altbauten mit teils mehreren Treppen. Es muss nicht extra erwähnt werden, dass man im Alter öfter zum Arzt muss.
Es fehlen barrierefreie Wohnungen
Am schwerwiegendsten dürfte das Problem der barrierefreien Wohnungen sein. Schon heute sind barrierefreie Wohnungen für Rollstuhlfahrer kaum zu bekommen. Wie wird es sein, wenn immer mehr Menschen einen Rollator benötigen oder generell Probleme mit Treppen haben werden?
Viele Wohnhäuser haben keine Rampe am Eingang, keinen Aufzug im Haus und sind so geschnitten, dass sie mit Rollator kaum nutzbar sind. Ein Rollator-Nutzer braucht weniger Wenderaum als ein Rollstuhlfahrer, doch auch er wird in einem WC Probleme bekommen, das so groß wie eine Telefonzelle ist.
Zwar sind moderne Wohnhäuser häufig mit Aufzug ausgestattet. Doch hat die öffentliche Hand den Wohnungsbau weitgehend eingestellt und Privat-Investoren scheinen ebenfalls eher am Ausschlachten der mietenblase als am Neubau interessiert. Es ist ein schönes Beispiel für das Total-Versagen des Marktes und des Kapitalismus.
Un-universelles Design
Mit der Ausnahme von Computern und Smartphones hat das universelle Design im Technik-Bereich nicht nur stagniert, sondern Rückschritte gemacht. Immer mehr Geräte sind serienmäßig mit Touchscreens ausgestattet, die für Blinde nicht und für Sehbehinderte schwer zugänglich sind. Ältere Menschen müssen sich vorbeugen, um diese Displays lesen und bedienen zu können. Ich trauere wirklich der Zeit hinterher, als man solche Geräte ohne Hinsehen und volle Aufmerksamkeit bedienen konnte. Apps und Alexa sind leider keine Lösung, nicht jeder will für eine Ladung Wäsche oder einen Kaffee das Smartphone bemühen oder seine Gewohnheiten Google und Co. frei Haus liefern.
Gefühlt sprechen wir heute mehr denn je über barrierefreies und universelles Design. Gefühlt ist aber außerhalb des digitalen Bereiches – und auch hier wird mehr geredet als getan – wenig passiert. Das ist auch daran erkennbar, dass Barrierefreiheit auf Mainstream-Veranstaltungen wenn überhaupt ein Nischenthema ist, öfter aber gar nicht vorkommt.
Das Problem, vor allem die Knappheit an barrierefreiem Wohnraum, Verkehrsmitteln, Arztpraxen und Arbeitsplätzen ist fast ähnlich groß wie die Frage des Klimawandels. Und ähnlich ungelöst.
Das Versagen unserer Regierungen
Es bleibt ein Rätsel, warum sämtliche Bundesregierungen und die EU mit dem European Accessibility Act viele praktische Probleme wie das Thema Haushaltsgeräte außer Acht gelassen haben. Man überlege einmal, wo wir heute mit einer ernst zu nehmenden Version des Americans with Disabilities Act wären.
Nach wie vor lobbieren große Teile der Wirtschaft gegen härtere Gesetze zur Barrierefreiheit und verbauen sich damit selber die Zukunft. Leider gehören auch sämtliche Bundesregierungen der Letzten Jahrzehnte zu den Bremsern der Barrierefreiheit in der EU. 16 Jahre Merkel-Regierung waren 16 Jahre Stillstand. Rot-Grün hat wenig getan und Rot-Grün-Gelb zeigt bisher keine großen Ambitionen.
Demographic change and the lack in Accessibility