Viele Fragen werden zum BFSG Barrierefreiheitsstärkungs-Gesetz gestellt. Ich möchte versuchen, ein paar davon zu beantworten. Bitte beachten Sie, dass ich kein Jurist bin und daher keine verbindlichen Aussagen machen und schon gar keine speziellen Fragen beantworten kann. Ich befürchte, dass viele Fragen erst weit nach dem 28. Juni 2025 befriedigend beantwortet sein werden oder sich durch gängige Praxis von selbst beantworten werden.
Noch eine Korrektur zum Podcast. Ich hatte gesagt, dass keine Abmahnwelle durch das bFSG zu berüchten sei. Das stimmt tatsächlich, weil alle Beschwerden über die Marktüberwachung laufen werden. Allerdings sind Abmahnungen durch das Wettbewerbsrecht möglich und sogar wahrscheinlich. Aktuell ist die Einschätzung, dass keine Abmahnwelle wie bei der DSGVO zu befürchten ist, aber das bleibt abzuwarten.
Was ist das BFSG?
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) setzt die europäische Barrierefreiheits-Direktive (EU) 2019/882 oder European Accessibility Act) in nationales Recht um. Es verpflichtet private Wirtschaftsakteure dazu, bestimmte Barrierefreiheitsanforderungen zu erfüllen, wenn ihre Produkte oder Dienstleistungen in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen. Das Gesetz wurde im Juli 2021 verkündet und tritt am 28. Juni 2025 in Kraft.
Für wen gilt das Gesetz?
Das Gesetz gilt bei Produkten für:
Bei Produkten betroffen sind:
Bei Dienstleistungen betroffen sind
Eine klare Trennung zwischen B2B und B2C ist in der Praxis nicht immer möglich. Wenn eindeutig nur Businesskunden angesprochen werden, ist die Situation einfach. Wenn B2B und B2C angesprochen sein könnten, muss das Angebot barrierefrei sein.
Wer ist vom BFSG ausgenommen?
Die folgenden Ausnahmen gibt es:
Nicht betroffen sind:
Unterschiede zwischen BITV und BFSG
Geltungsbereich: Die BITV 2.0 regelt die Barrierefreiheit von Webangeboten und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen. Das BFSG betrifft Wirtschaftsakteure, die Produkte oder Dienstleistungen anbieten, welche Barrierefreiheitsanforderungen erfüllen müssen.
Anforderungen: Die BITV legt zusätzliche, über die WCAG hinausgehende Anforderungen fest, z. B. Erläuterungen in Deutscher Gebärdensprache und Leichter Sprache nach § 4 BITV. Das BFSG hingegen verweist auf die harmonisierte Norm EN 301 549, die wiederum auf die WCAG verweist.
Barrierefreiheitserklärung: Eine „Barrierefreiheitserklärung“ nach § 7 BITV ist nicht geeignet, um die Anforderungen der WCAG zu erfüllen und ist im Kontext des BFSG in dieser Form auch nicht vorgesehen. Stattdessen müssen Dienstleistungserbringer Informationen nach Anlage 3 Nummer 1 BFSG erstellen.
Zielgruppe der Erklärung zur Barrierefreiheit: Die Anforderungen an die Erklärung zur Barrierefreiheit finden sich in § 7 der BITV 2.0, gelten jedoch nur für öffentliche Stellen. Gemäß § 14 Absatz 1 Nummer 2 BFSG müssen Dienstleistungserbringer eine Konforitäts-Erklärung zur Barrierefreiheit ihrer Dienstleistungen veröffentlichen; die Anforderungen an den Inhalt dieser Erklärung finden sich in Anlage 3 zum BFSG.
Gesetzliche Grundlage: Öffentliche Stellen des Bundes (nach § 12 BGG) sind nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) zur Barrierefreiheit verpflichtet, während das BFSG sich auf Wirtschaftsakteure bezieht.
Konsequenzen der Nichteinhaltung: Im Falle einer Nichteinhaltung der WCAG-Anforderungen kann im Kontext der BITV eine Barrierefreiheitserklärung mit den nicht erfüllten Punkten auf der Website hinterlegt werden. Im Kontext des BFSG ist dies jedoch nicht ausreichend, da die Anforderungen umfassender sind und auf die Erfüllung der EN 301 549 abzielen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die BITV 2.0 und das BFSG unterschiedliche Schwerpunkte und Zielgruppen haben. Die BITV 2.0 konzentriert sich auf die Barrierefreiheit öffentlicher Stellen, während das BFSG die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen im wirtschaftlichen Bereich regelt. Obwohl beide auf Normen wie die EN 301 549 und WCAG verweisen, gibt es zusätzliche Anforderungen und unterschiedliche Ansätze zur Umsetzung und Erklärung der Barrierefreiheit.
Die Erklärung zur Barrierefreiheit ist nicht mit der Konformitätserklärung aus dem BFSG gleichzusetzen, darauf hat die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit explizit hingewiesen.
Welche Normen gelten für das BFSG?
Es wird kein klarer Standard genannt. Vielmehr wird die WCAG durch die Nennung der vier Prinzipien referenziert. Allerdings gehen alle Expertinnen davon aus,dass die EN 301549 maßgeblich ist. Die EN ist ein harmonisierter Standard, der für Software, Dokumente und Hardware klare Anforderungen definiert. Die WCAG kann nur für Software und Dokumente angewendet werden. Digitale Barrierefreiheit ist nach allgemeinem Verständnis erfüllt, wenn harmonisierte Standards beachtet wurden.
Darüber hinaus werden einige Anforderungen in der Umsetzungsverordnung zum BFSG genannt.
Weitere Standards für Sprache und Text-Gestaltung sind in Arbeit. Stand heute kann nicht gesagt werden, ob sie bis Juni 2025 fertig sein werden.
Welche Teile eines Webangebots müssen barrierefrei sein?
Tatsächlich müssen nur die Teile eines digitalen Angebots barrierefrei sein, die für die transaktion relevant sind, also die komplette Antragsstrecke, die Startseite, die Kontaktseite, die AGB und das Impressum. Der gesamte Rest, so das aktuelle Verständnis, müssen nicht barrierefrei sein, also etwa das Kündigen oder Verwalten einer Versicherungs-Police innerhalb eines Kundenportals. Verstehen muss man das nicht.
Meines Erachtens sollten Sie trotzdem Barrierefreiheit flächendeckend anstreben. Zum Einen können die Gesetzte ausgedehnt werden. Zum Anderen ist eine Trennung innerhalb eines Angebots zwischen „hier barrierefrei“ und „ab da nicht mehr barrierefrei“ nicht sinnvoll. Oft werden Komponenten flächendeckend verwendet, können ausgetauscht oder aktualisiert werden. Wenn sie teilweise barrierefrei und teilweise nicht barrierefrei sind, schränkt das die Einsatz-Möglichkeiten ein. Last but least ist der gedanke, etwas absichtlich nicht barrierefrei zu machen, weil es nicht im Score ist absurd. Allerdings ist es sinnvoll, die Priorität auf die Komponenten und Inhalte zu legen, die eindeutig vom gesetz erfasst sind.
Wer überwacht die Einhaltung?
Überwacht wird die Einhaltung von der Marktüberwachung. Diese wird bundesweit zuständig sein und in Magdeburg angesiedelt sein. Sie ist aktuell im Aufbau. Auch hier bin ich mir relativ sicher, dass sie bis Juni 2025 nicht vollständig arbeitsfähig sein wird.
Welche Strafen gibt es? und wie wird vorgegangen
Bei Nichteinhaltung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) können verschiedene Maßnahmen und Strafen verhängt werden. Hier ist ein Überblick über das Verfahren und die möglichen Konsequenzen:
Verfahren bei Nichteinhaltung:
1. Prüfung durch die Marktüberwachungsbehörde: Wenn die Marktüberwachungsbehörde Grund zur Annahme hat, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung die Barrierefreiheitsanforderungen nicht erfüllt, prüft sie den Fall. Wirtschaftsakteure sind verpflichtet, bei dieser Prüfung mitzuwirken. Die Marktüberwachungsbehörde kann eine Dienstleistung auch ohne konkreten Anlass anhand angemessener Stichproben prüfen.
2. Aufforderung zur Herstellung der Konformität: Stellt die Marktüberwachungsbehörde fest, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung nicht den Barrierefreiheitsanforderungen entspricht, fordert sie den Wirtschaftsakteur auf, innerhalb einer angemessenen Frist geeignete Maßnahmen zur Herstellung der Konformität zu ergreifen. Der Wirtschaftsakteur hat das Recht, angehört zu werden.
3. Maßnahmen bei Nichterfüllung: Kommt der Wirtschaftsakteur der Aufforderung nicht nach, kann die Marktüberwachungsbehörde:
4. Verwaltungsrechtsweg: Wirtschaftsakteure können gegen die Maßnahmen der Marktüberwachungsbehörde auf dem Verwaltungsrechtsweg vorgehen, wenn sie der Meinung sind, dass die Maßnahmen ungerechtfertigt sind.
5. Bußgelder: Zusätzlich zu den genannten Maßnahmen kann die Marktüberwachungsbehörde Bußgelder verhängen, um Pflichtverletzungen zu ahnden.
Mögliche Strafen und Konsequenzen:
100.000 Euro verhängt werden. § 37 BFSG enthält einen Katalog von Pflichtverstößen, die mit einem Bußgeld geahndet werden können.
einhält. Sie können auch Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben, wenn die Marktüberwachungsbehörde keine Maßnahmen einleitet.
Anerkannte Verbände können ebenfalls einen Antrag auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens stellen.
Die Marktüberwachungsbehörden der Länder überwachen die Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen durch die Wirtschaftsakteure. Die Bundesregierung behält das Risiko einer Abmahnwelle zu BFSG-Verstößen im Auge.
Abmahnwelle durch das BFSG?
Häufig wird gesagt, dass das BFSG eine Abmahnwelle ähnlich wie die DSGVO auslösen könnte. Nach meinem Wissen ist das auf Basis des BFSG nicht möglich. Es ist keine generelle Klage-Möglichkeit vorgesehen. Der Weg führt über die Marktüberwachung, da ist kein Weg, der für Abmahn-Anwälte gangbar wäre.
Allerdings könnte das Wettbewerbsrecht eine Möglichkeit sein, dass auch unbeteiligte Dritte wie Abmahnanwälte Klagen einreichen. Es ist noch völlig offen, wie das aussehen könnte. Hier bleibt nur die Empfehlung, so viel wie möglich bis zum 28.6. barrierefrei zu machen und danach einen klaren Fahrplan für weitere Maßnahmen zu haben. Viele Massenabmahner nutzen automatische Prüftools wie Wave, deshalb ist es empfehlenswert, insbesondere die öffentlich ohne Login zugänglichen Seiten so zu optimieren, dass sie keine Feher in Wave und ähnlichen automatischen Prüftools aufweisen.
Welche Rechte gibt es für Personen und Interessensverbände?
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) räumt bestimmten Personengruppen und Interessensverbänden Rechte ein, insbesondere im Hinblick auf die Durchsetzung von Barrierefreiheit.
Rechte für Verbraucher:
Rechte für anerkannte Verbände und qualifizierte Einrichtungen:
Gemeinsame Rechte:
Wie kann die Einhaltung der Barrierefreiheit nachgewiesen werden?
Um die Einhaltung der Barrierefreiheit nachzuweisen, müssen verschiedene Aspekte berücksichtigt werden, die sich sowohl auf Produkte als auch auf Dienstleistungen beziehen. Hier sind die wichtigsten Punkte, wie die Einhaltung der Barrierefreiheit nachgewiesen werden kann:
Konformitätsbewertung und -vermutung
Technische Dokumentation
CE-Kennzeichnung
Prüfung durch die Marktüberwachungsbehörde
Bewertung der Barrierefreiheit
Konkrete Standards und Normen
Wichtig zu beachten:
Durch die Einhaltung dieser Schritte und Richtlinien können Wirtschaftsakteure die Barrierefreiheit ihrer Produkte und Dienstleistungen nachweisen und sicherstellen, dass sie den Anforderungen des BFSG entsprechen.
Aus meiner Sicht offene Fragen:
- Es gibt keine Vorlage für die Konformitätserklärung.
- Wen betrifft die Übergangsfrist von Dritt-Anbietern?
- Was heißt Verständlichkeit und Lesbarkeit in dem Kontext?
- Nicht alle Standards sind veröffentlicht.
- Der ganze bereich Dokumentation zur Barrierefreiheit, Kapitel 12 in der EN 301549 ist ein Mysterium.