Ein kognitives Modell beschreibt, wie etwas wahrgenommen wird. Um komplexe Objekte verabeiten zu können, benötigen wir eine Repräsentation davon, wie es aufgebaut ist und wie es sich insbesondere bei Interaktion verhält.
Das kognitive Modell Sehender
Sehende nehmen die GUI über ihre visuellen Sinne auf. Visuelle Elemente wie Farben, Formen, Symbole und Texte werden erkannt und interpretiert.
Menschen erkennen und kategorisieren visuelle Elemente durch Gestaltprinzipien (z. B. Nähe, Ähnlichkeit, Kontinuität), die helfen, verwandte Informationen als zusammengehörig wahrzunehmen.
Farben und Kontraste spielen eine entscheidende Rolle. Hohe Kontraste erleichtern die Unterscheidung von Elementen und lenken die Aufmerksamkeit auf wichtige Bereiche.
GUIs sind oft komplex, mit vielen möglichen Interaktionspunkten. Die Nutzer lenken ihre Aufmerksamkeit auf relevante Bereiche, oft basierend auf visuellen Hinweisen und persönlicher Relevanz.
Selektive Aufmerksamkeit hilft, irrelevante Elemente auszublenden und sich auf wichtige Interaktionspunkte zu konzentrieren. Die Platzierung und Größe von Schaltflächen und Symbolen können die Aufmerksamkeit gezielt lenken.
Das Arbeitsgedächtnis ist entscheidend: Benutzer behalten eine begrenzte Menge an Informationen im Kopf, um die nächsten Schritte in einer GUI auszuführen. GUIs, die zu viele Informationen auf einmal präsentieren, können das Arbeitsgedächtnis überlasten.
Das Langzeitgedächtnis wird angesprochen, wenn Benutzer bekannte Symbole und Interaktionen wiedererkennen. Icons wie das „Haus“ für die Startseite oder der „Papierkorb“ für löschen sind Beispiele für Symbole, die im Langzeitgedächtnis verankert sind und sofort verstanden werden.
Konsistenz in der Gestaltung hilft, das Langzeitgedächtnis zu nutzen und wiederkehrende Benutzerfreundlichkeit sicherzustellen.
Benutzerinnen wägen Optionen in einer GUI ab und wählen Pfade, die am besten zu ihren Zielen passen. Entscheidungen hängen oft von Faktoren wie Effizienz, Vorerfahrung und Vertrauen in die Navigation ab.
Die Erwartungskonformität ist ein wichtiger Faktor: GUIs, die den Erwartungen der Benutzer entsprechen, reduzieren die kognitive Belastung und machen Entscheidungen intuitiver.
Nach der Entscheidung führt der Benutzer eine Handlung aus (z. B. Klicken, Scrollen). Diese Aktionen hängen von der Zielrichtung ab, die eine klare visuelle Verbindung zwischen den Absichten des Benutzers und den GUI-Elementen herstellt.
Motorische Steuerung, wie die Platzierung der Maus und das Drücken von Tasten, sind Teil der Umsetzung des kognitiven Modells in physische Aktionen.
Hier spielt das Fitts’sche Gesetz ebenfalls eine Rolle: Benutzer bevorzugen Schaltflächen und Interaktionen, die leichter zu erreichen sind.
Das kognitive Modell Blinder
Das kognitive Modell blinder Personen bei der Nutzung digitaler Benutzeroberflächen (User Interfaces, UI) unterscheidet sich grundlegend von dem sehender Personen, da sie auf andere Wahrnehmungs-Formen zurückgreifen müssen. Für Blinde funktionnieren die meisten Gestalt-Gesetze wie Nähe, Größe, Weißraum oder grafische Hervorhebung nicht. Die meisten Gestalt-Patterns sind vollständig auf das Sehen ausgerichtet.
Auditive Informationsverarbeitung
Blinde Nutzer verwenden Screenreader-Software, die den Text auf dem Bildschirm in Sprache oder Braille umwandelt. Dadurch erfolgt die Informationsverarbeitung primär auditiv (oder haptisch im Falle von Braille). Einige kognitive Prozesse, die dabei eine Rolle spielen:
Sequenzielle Navigation: Im Gegensatz zu sehenden Nutzern, die eine Seite visuell scannen und Informationen parallel aufnehmen, nehmen blinde Nutzer Informationen nacheinander auf. Sie hören sich durch Menüs, Absätze und Listen und müssen dabei gedanklich die Struktur der Seite konstruieren.
Mentale Kartenbildung: Blinde Personen erstellen eine mentale Repräsentation der Website-Struktur, ähnlich wie sehende Personen visuelle Karten erstellen. Diese mentale Karte hilft ihnen, sich auf der Seite zu orientieren, obwohl sie die Seite nicht auf einen Blick erfassen können. Navigationselemente wie Überschriften, Listen oder Links werden oft als Orientierungspunkte genutzt.
Fokus auf Hierarchie und Semantik: Semantische Markierungen (z. B. Überschriftenebenen oder Listen) sind für blinde Nutzer besonders wichtig, um die Struktur einer Webseite zu verstehen. Sie nutzen diese Hinweise, um Prioritäten zu setzen und sich durch Inhalte zu navigieren.
Taktile Informationsverarbeitung (Braille)
Einige blinde Nutzer verwenden Braille-Displays, die den Text der Benutzeroberfläche in fühlbare Braille-Zeichen umsetzen. Die taktile Informationsverarbeitung fordert andere kognitive Strategien als die auditive.
Langsamere Informationsaufnahme: Braille-Displays bieten oft nur eine kleine Menge Text gleichzeitig an, was die Geschwindigkeit der Informationsaufnahme reduziert. Nutzer müssen sich an den begrenzten Raum und die sequenzielle Natur des Lesens anpassen.
Höhere Arbeitsgedächtnisbelastung: Da nur wenige Zeichen auf einmal wahrgenommen werden können, müssen blinde Nutzer mehr Informationen im Arbeitsgedächtnis halten, während sie sich durch die Inhalte bewegen.
Interaktionsparadigmen
Blinde Nutzer verwenden unterschiedliche Eingabemethoden, darunter Tastaturkürzel, Sprachsteuerung oder haptische Eingabegeräte. Diese Eingabemethoden erfordern spezielle kognitive Anpassungen.
Tastatur- und Shortcut-basierte Navigation: Da visuelle Orientierung entfällt, navigieren blinde Personen durch Tastaturkürzel oder Gesten durch die Benutzeroberfläche. Sie müssen sich eine große Anzahl von Tastenkombinationen und Interaktionsmustern merken, um effizient arbeiten zu können.
Kognitive Belastung durch Kontextumschaltung: Der Wechsel zwischen verschiedenen Aufgaben (z. B. Text lesen, zu einem Formular navigieren, Befehle eingeben) kann kognitiv fordernd sein, da die Orientierung und das Behalten von Kontexten besonders wichtig sind.
Aufmerksamkeitsmanagement: Blinde Nutzer müssen gezielt Informationen suchen und verarbeiten, was ein effektives Aufmerksamkeitsmanagement erfordert:
Relevanzfilterung: Blinde Personen müssen in der Lage sein, irrelevante oder redundante Informationen zu filtern, da sie oft lange Passagen anhören müssen, um relevante Details zu finden. Dabei hilft es, wenn Webseiten semantisch gut strukturiert und barrierefrei sind.
Kognitive Flexibilität: Da viele digitale Inhalte und Webseiten nicht vollständig barrierefrei sind, benötigen blinde Nutzer eine hohe kognitive Flexibilität, um alternative Wege zu finden, Informationen zu extrahieren, z. B. durch die Umgehung schlecht markierter Navigationselemente.
Erhöhte Abhängigkeit von Gedächtnis: Ohne visuelle Hinweise verlassen sich blinde Nutzer stark auf ihr Gedächtnis, um sich auf digitalen Oberflächen zurechtzufinden.
Langzeitgedächtnis für Layouts und Strukturen: Häufige Nutzung bestimmter Webseiten oder Anwendungen führt zur Speicherung der strukturellen Informationen im Langzeitgedächtnis. Blinde Nutzer können sich durch diese gespeicherten mentalen Modelle schneller zurechtfinden, wenn sie bekannte Seiten erneut besuchen.
Arbeitsgedächtnis: Die gleichzeitige Verarbeitung von Informationen ist oft schwieriger, da Informationen linear und auditiv aufgenommen werden. Dies führt zu einer erhöhten Belastung des Arbeitsgedächtnisses, da relevante Informationen zwischengespeichert werden müssen, während der Nutzer durch die Seite navigiert.
Problemlösestrategien und Fehlerbewältigung
Blinde Nutzer entwickeln eigene Strategien, um mit Fehlfunktionen, unzureichend barrierefreien Websites oder mangelnden Informationen umzugehen. Dazu gehören:
Trial-and-Error-Ansatz: Wenn Navigationselemente nicht gut beschrieben oder zugänglich sind, verlassen sich blinde Nutzer oft auf Versuch-und-Irrtum-Strategien, um herauszufinden, wie sie mit der Seite interagieren können.
Spezifisches Feedback suchen: Blinde Nutzer benötigen genaues, sofortiges Feedback über ihre Aktionen, da sie keine visuellen Indikatoren wahrnehmen können, die eine Interaktion bestätigen (z. B. Farbumschläge, Pop-ups).
Für Blinde ist es besonders wichtig, dass sie relevante Informationen selektieren und nicht-relevante Informationen herausfiltern können. Das gilt natürlich auch für Sehende, bei Blinden dauert dieser Prozess allerdings deutlich länger, da sie deutlich mehr Informationen bekommen. Sie können einen Informationsblock nicht einfach visuell überspringen. Gleichzeitig müssen sie gzeilt bestimmte Informationen finden können. Nehmen wir an, ich tätige einen Online-Einkauf. Dann muss ich gezielt auf der letzten Seite nachschauen, ob der Einkauf abgeschlossen wurde oder ob ein Fehler aufgetreten ist. Sehende fokussieren einfach die relevante Stelle, Blinde müssen sie gezielt aufsuchen.
Wichtige Prinzipien der digitalen Barrierefreiheit für Blinde
Um die Herausforderungen für Blinde zu reduzieren, gibt es mehrere Prinzipien:
Relevanz und Zusammenhänge: AUF GUIS werden Hierarchien und Beziehungen durch Größen-Unterschiede von Elementen und Nähe/Abstände deutlich. Im Code basiert das Ganze auf Container-Strukturen. Zusammengehörige Elemente sind in Containern strukturiert, die deren Funktion beschreiben. Eine andere Möglichkeit sind Fieldsets bei Formularen.
Beschriftungen: Die Aufgabe von Elementen wird über den code kommuniziert. Da Elemente in der Regel durch ihre Position oder ihr Aussehen ihre Aufgabe kommunizieren, ist diese Information für Blinde ansonsten nicht zugänglich.
Kommunikation von Änderungen: Änderungen, die in der GUI stattfinden werden an die assistive Technologie kommuniziert. Da sie visuell statttfinden, würde der Blinde sie sonst nicht mitbekommen.
Reihenfolge: Da Blinde ohne Touchscreen die visuelle Anordnung nicht wahrnehmen, ist die korrekte Implementierung der Reihenfolge wichtig. Das betrifft die Ausgabe des Screenreaders, aber auch die Reihenfolge der Tastatur-Bedienung. Es kann etwa sein, dass Elemente ihre Bedeutung durch ihre Reihenfolge bekommen. Stellen Sie sich ein zwei-spaltiges Formular vor, in welchem links der Vorname und rechts der Nachname in der rechten Spalte steht. Der Screenreader würde vermutlich erst die linke, dann die rechte Spalte vorlesen und damit für Konfusion sorgen.
Tastatur-Bedienbarkeit wird in erster Linie direkt durch die assistive Technologie ermöglicht. Sie bietet Shortcuts oder Touchgesten, um Elemente direkt anzusteuern oder zu überspringen.