Für Blinde ist die Erkennung von Hindernissen eine große Herausforderung. Große Hindernisse von der Hüfte bis zum Fuß lassen sich mit dem Blindenstock überwiegend gut ausmachen. Kopf und Oberleib hingegen sind vom Stock überhaupt nicht erfasst. Dazu kommt das Problem, das manche Hindernisse zu spät erfasst werden. Natürlich käme auch ein Blindenführhund als Hilfe in Frage, das ist aber nicht für jeden Blinden das Richtige.
In den letzteJahren haben sich diverse Zusatz-Geräte entwickelt, die bei der Erkennung von Hindernissen helfen sollen. Sie basieren auf Infrarot oder Ultraschall und informieren per Vibration oder Ton über Hindernisse. Die Geräte verbergen sich in Schuhen, als Erweiterung des Blindenstocks oder als anderes Wearable. Große Begeisterung hat keines dieser Geräte ausgelöst, soweit ich die Situation kenne. Hier also ein paar Ideen, wie eine Hindernis-Erkennung perfektioniert werden kann. Ich sage ausdrücklich dazu, dass ich von den bisher verfügbaren Geräten noch keines ausprobiert habe und deren Fähigkeiten daher nicht beurteilen kann.
Anpassbarkeit ist entscheidend
Es gibt große, kleine, schmale und breite Menschen. Eine Hindernis-Erkennung kann nur etwas taugen, wenn sie an die diversen Körpergrößen angepasst werden kann. Ansonsten sendet sie zu viele irrelevante Warnungen aus.
Bei Blinden arbeitet man in der Regel mit der Analogie einer Analog-Uhr, um die Position eines Hindernisses anzusagen. 3 Uhr ist rechts, 6 Uhr ist links, 12 Uhr ist geradeaus und so weiter. Daneben wäre noch die Position eines nicht-massiven Hindernisses wie eines Rückspiegels oder eines Astes interessant. Auch das müsste ein entsprechendes Tool ansagen, dafür ist wiederum die Körpergröße und -Breite einer Person wichtig. Dazu reicht die Ansage des Körperteils, also zum Beispiel: „Ast auf Kopfhöhe rechts“, „Rückspiegel auf Hufthöhe links“ etc.
Daneben wäre es sinnvoll, wenn eine lernende Software-Lösung verwendet wird. Menschen laufen unterschiedlich schnell, das ist ein wichtiger Faktor. Wird man zu spät vor einem Hindernis gewarnt, stolpert man darüber, wird man zu früh gewarnt, weiß man nicht, was man tun soll.
Die Krux aller Lösungen ist der Grad an Warn-Genauigkeit. Werden zu wenige Warnungen ausgesendet, kann man im Zweifelsfall auf das Gerät verzichten. Werden zu viele Warnungen ausgesendet, verunsichert das die tragende Person und hilft ebenfalls nicht weiter. Nun ist das natürlich auch eine Frage der persönlichen Vorlieben, auch deshalb wäre ein lernender Algorithmus wichtig.
Intelligente Objekt-Erkennung
Eine intelligente Objekt-Erkennung wäre sinnvoll. Das klingt komplizierter als es ist. Es gibt im Straßenverkehr eine Handvoll Objekte, die immer wiederkehrt: Pfähle von Schildern und Laternen, Fahrräder, Roller, Autos, Mülltonnen, Aufsteller, Tische und Stühle von Cafés, Hauswände, Stufen von Treppen, Zuäune oder Absperrungen von Baustellen, niedrige Mauern… Daneben gibt es natürlich noch lebendige, also sich eventuell bewegende Dinge wie Menschen, Hunde bzw. bewegte Objekte wie Fahrräder, Roller und Autos. Eine Objekt-Erkennung könnte einem sagen, was man vor sich hat, wo es sich ungefähr befindet und ob sich das Objekt bewegt.
Bei beweglichen Hindernissen wäre es natürlich toll, wenn die Software in etwa ermitteln kann, wohin sich das Objekt bewegt. Für einen Blinden ist wichtig, ob die Person ihm entgegenkommt, den Weg kreuzt oder ganz woanders hingeht, selbiges natürlich bei Fahrrädern, Autos etc.
Eine Objekt-Erkennung im weiteren Sinne gibt es bereits. So kann die iPhone-App SeeingAI bereits Szenen beschreiben.
Weiß der Blinde, was für ein Hindernis er vor sich hat und kennt seine ungefähre Position, kann er sich sein Verhalten zurechtlegen. Ein Roller erfordert ein anderes Verhalten als ein Fahrrad oder eine Person, die im Weg steht.
Ein Problem bisheriger Lösungen ist, dass sie nur aufragende Hindernisse erkennen können. Das gilt insbesondere für Geräte, die nicht am Oberkörper befestigt sind. Nun sind aufragende Hindernisse natürlich wichtig, gefährlich sind aber auch Hindernisse wie nach unten führende Treppen oder gar Gruben. Solche Objekte können meines Erachtens nur mit intelligenter Objekterkennung erkannt und beschrieben werden.
Integrierte Gesamt-Lösung
Im Augenblick bin ich tatsächlich abgeneigt, mir weitere Geräte zuzulegen. Stand-Alone-Geräte haben sicherlich ihre Berechtigung. Aber gerade für die Besitzer von Smartphones wären integrierte Gesamt-Lösungen besser. Besitzt man ohnehin eine smarte Kamera, die etwa Text erfassen kann, sollte diese auch die Hindernis-Erkennung übernehmen.
Für das oben dargestellte Szenario wäre ohnehin ein Computer notwendig. Zwar kann man im Prinzip überall ein kleines Betriebssystem einbauen. Aber die Software aktuell zu halten ist mit solchen Geräten eher schwierig. Und es wäre auch Ressourcen-Verschwendung. Wozu zwei Computer, wenn das Smartphone ohnehin die nötige Rechenpower hat?
Fazit
Wir haben gesehen, dass das Thema extrem komplex und nicht einfach zu lösen sein wird. Wir haben zum Beispiel gar nicht über das Thema Beleuchtung gesprochen. Bei Infrarot-Strahlung oder Ultraschall spielt es keine Rolle, ob es hell oder dunkel ist. Bei den hier vorgeschlagenen Systemen geht es aber eher um Kamera-basierte Geräte, die auf ausreichend Beleuchtung angewiesen sind.
Klar ist, die Basis der Orientierung wird bis auf absehbare Zeit der Blindenstock und das persönliche Orientierungsvermögen bleiben. Ein Blindenführhund kann den Blinden auf dem Hund bekannten Wegen führen oder Hindernissen ausweichen, aber er kann keine Umgebungen erkunden oder komplexere Ausweich-Routen herausfinden. Alle Geräte haben die Neigung, im unpassenden Moment kaputt zu gehen oder entladen zu sein. Die Klicksonar-Technik und ähnliche Methoden haben vielen Menschen geholfen, vielen Anderen aber nicht.
Was ist denn das für ein Zifferblatt? „3 Uhr ist rechts, 6 Uhr ist links,…“
Oh, daran merkt man, dass ich seit 20 Jahren keine Analog-Uhr mehr gesehen habe.