Seit kurzem bin ich Besitzer des Orbit Reader 20, der ersten halbwegs günstigen Braillezeile. Meine Erfahrungen möchte ich hier zusammenfassen. Das Gerät ist beim BVHD für 650 € erhältlich. Wem die 20 Zeichen des Orbit Reader zu wenig sind, der Canute mit 360 darstellbaren Zeichen soll dieses Jahr erscheinen und ebenfalls zu einem für uns leistbaren Preis erhältlich sein.
Für meine sehenden Mitleser, dieser Artikel dürfte für euch nicht so spannend sein. Ein wenig Hintergrund möchte ich aber mitgeben: Günstige Braillezeilen sind der heilige Gral der Blinden-Hilfstechnik. Die Geräte kosten rund 100 € pro darstellbarem Zeichen, für eine Zeile mit 80 darstellbaren Zeichen sind schon mal 10.000 € fällig. Dass Hilfsmittel teuer sind, sind behinderte Menschen gewohnt, aber gerade bei einer Braillezeile fallen Preis und Leistung nicht wirklich zusammen. Es gibt wohl keine Industrie, die so konsequent an den Interessen ihrer Kunden vorbei arbeitet und es sich auch noch leisten kann wie die Hilfsmittel-Industrie. Aber darüber haben ich und andere schon viel gemeckert.
Zwar wird schon seit vielen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten an günstigen Alternativen gearbeitet, aber der Orbit Reader ist tatsächlich das erste Projekt mit einem marktfähigen Produkt. Wir wünschen uns noch mehr davon.
Und weiter gehts mit dem Test-Bericht.
Das Äußere
Außen besteht der Orbit Reader komplett aus einem Kunststoff. Die Verarbeitung wirkt gut. Er ist mir am ersten Tag gleich runtergefallen und hat dabei keinen Schaden genommen.
Die Größe des Gerätes entspricht etwa einem kleinen, dickeren Paperback. Das Gewicht würde ich auf etwas zwischen 300 und 400 Gramm schätzen. Den meisten dürfte es also zu schwer für die Jackentasche sein. Das könnte aber für eine robuste Verarbeitung sprechen, für Grobmotoriker wie mich sehr wichtig.
Man kann eine spezielle Tragetasche erwerben – die mir zu teuer war. Außerdem gibt es Ösen, in denen ein Schlüsselring oder Band durchgezogen werden könnte.
Um Bücher zu lesen und Texte zu schreiben bzw. abzuspeichern benötigt man eine SD-Karte, eine Karte war beigelegt. Hinten befindet sich ein Anschluss für Micro-USB zum Aufladen und Verbinden an den PC, der Einschalter sowie der Einschub für die SD-Karte.
Der Akku kann über eine Klappe auf der Unterseite getauscht werden. Ein Kritikpunkt an vielen kommerziellen Braillezeilen ist, dass der Akku nur mit Expertise getauscht werden kann. Einige Zeilen funktionieren auch mit externer Stromversorgung nicht mehr, wenn der Akku defekt oder tiefenentladen ist. Wie schon gesagt, die Hilfsmittel-Industie und ihre Kundenfreundlichkeit.
Kommen wir zu den Bedienelementen, sie befinden sich alle auf der Oberseite. Ganz oben ist die Tastatur zur Eingabe von Braille. Darunter sind vier Cursortasten sowie eine mittlere Taste zum Bestätigen. Darunter sind drei Tasten, die Mittlere ist die Leertaste, bei den anderen habe ich die Funktion noch nicht herausgefunden.
Unten befinden sich dann die 20 Braillemodule in einer Reihe. Links und rechts davon befinden sich zwei Kippschalter, die zum Weiterschalten der Zeile gedacht sind. Cursor-Routing-Tasten gibt es nicht.
Die Braille-Darstellung
Kommen wir zu dem, was die Meisten blinden Leser interessieren dürfte: Das Gerät kann 20 Zeichen in 8-Punkte-Braille darstellen. Die Module sind hervorragend fühlbar, ich und mein Mittester würden sagen besser als bei meiner Humanware, die das Zehnfache gekostet hat. Die Reaktionszeit ist gut, auch hier sehe ich keinen Unterschied zur Humanware.
Das Ein- und Ausfahren der Module ist deutlich lauter als bei anderen aktuellen Zeilen. Das mag den Einen oder Anderen stören, dürfte aber nur in ruhigen Umgebungen deutlich auffallen.
Lesen
Es können nur Textdateien und spezielle Brailleformate verarbeitet werden, also kein Word, Richt-Text, HTML oder ePub. Für solche Formate bräuchte man also ein externes Gerät und würde den Orbit als Braillezeile verwenden. Das Gerät kann keine Konvertierung von Braille durchführen, es gibt also keine Kurzschrift oder Computer-Braille, wenn sie nicht im Ursprungsformat bereits vorhanden ist. Das dürfte aber bei Geräten dieser Art ohne großes Betriebssystem üblich sein.
Das Erstellen von Notizen habe ich noch nicht ausführlich getestet. Ich liefere das bei Gelegenheit aber gerne nach.
Der Orbit Reader als externe Braillezeile
Der Orbit Reader ist als Stand-Alone-Gerät angelegt. Er kann aber auch als externe Braillezeile verwendet werden. Das muss in den Einstellungen aktiviert werden.
Dazu ist nicht viel zu sagen, die Koppelung mit iPhone und NVDA hat problemlos und auf Anhieb funktioniert, auch hier besser als bei der Humanware. Da ich Braille am PC und Smartphone generell wenig nutze, kann ich nicht viel mehr dazu sagen.
Die Praxis
Ich wollte ein Gerät haben, mit dem ich Wartezeiten sinnvoll totschlagen kann und trotzdem die Ohren frei habe. Gedrucktes Braille ist oft nicht praktikabel: Die Bücher sind zu groß oder gehören den Blindenbibliotheken und würden meinen Rucksack nicht unbeschadet überleben. Außerdem ist das Angebot an Texten, die mich interessieren in diesem Bereich zu gering. Ein Braille-Drucker ist für eine Privatperson ebenfalls nicht sinnvoll.
Meine 40er-Zeile war mir zu unhandlich, das Koppeln mit einem externen Gerät macht in der Praxis immer mal Probleme und ich konnte mich damit nicht anfreunden, für die Aufgabe des Lesens immer zwei Geräte betreiben zu müssen.
Zwar gibt es kleine Braillezeilen schon seit einiger Zeit. Sie waren mir aber für das,, was sie leisten zu teuer und zehn oder zwölf darstellbare Zeichen wäre mir auch zu wenig. Selbst in der Kurzschrift gibt es im Deutschen viele Wörter, die mehr als 12 Zeichen benötigen.
Für meine Zwecke ist der Orbit Reader in jedem Fall ausreichend. Reine Textdateien reichen mir für meine Lektüre erst mal aus. Allerdings ist die Vollschrift wirklich nervtötend, vor allem auf so kleinen Displays.
Längere Zeit im Stehen mit dem Gerät zu lesen wird wahrscheinlich nicht klappen. Es ist einen Ticken zu groß und zu schwer, um es längere Zeit entspannt in einer Hand halten zu können. Notizen im Stehen machen sollte aber mit ein bisschen Übung möglich sein, zumindest solange man keine Romane schreiben will. Mit mittelgroßen Händen kann man das Gerät halten und mit den Daumen tippen. Angenehm ist anders, aber für kleinere Notizen sollte s reichen.
Bisher glaube ich, dass sich der Kauf gelohnt hat. Das wird sich aber erst mittelfristig zeigen.