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Können Sie es sich leisten, nicht barrierefrei zu sein?

GeldmünzenAuf Twitter schrieb ich neulich: Man sollte mißtrauisch werden, wenn die DSGVO der Unique Selling Point eines Produkts ist, also der Hauptgrund, warum eine Lösung gekauft werden sollte. Das heißt im Grunde, dass man alle anderen Themen sekundär behandelt hat. Das sind so unwichtige Dinge wie Barrierefreiheit oder gute User Experience. Jüngstes Beispiel ist ClickMeeting, eine leider nicht-barrierefreie Lösung zur Online-Kommunikation.
Im Endeffekt haben die Veranstalter die Wahl zwischen Pest und Cholera: Sie können eine wahrscheinlich DSGVO-konforme, weil EU-basierte Lösung nehmen und die Teilnehmer:Innen kämpfen mit massiven technischen Problemen. Der Support-Bedarf ist bei solchen Lösungen wirklich enorm. Oder man nimmt eine der meistens US-amerikanischen Lösungen mit guter Barrierefreiheit und User Experience, aber schlechtem Ruf beim Datenschutz. Im Zweifelsfall und wenn keine Verpflichtung besteht, wird man sich immer für Letzteres entscheiden. Es ist wichtiger, viele Menschen zu erreichen als DSGVO-konformer als die DSGVO zu sein. Leider konnte man mir noch nicht schlüssig begründen, warum man für Mängel bei der DSGVO hohe Geldstrafen bekommt und für die mangelnde Nutzbarkeit durch behinderte Menschen nicht mal einen Klaps auf die Finger. Und leider konnte mir auch noch niemand erklären, warum das US-amerikanische Zoom in einigen Einrichtungen DSGVO-konform ist und in anderen nicht, dort wird stattdessen das US-Amerikanische WebEx oder das US-amerikanische Teams verwendet. Ach, Adobe Connect ist übrigens auch US-amerikanisch und wird auch gerne verwendet.
Aber kann man nicht beides haben: Datenschutz und Barrierefreiheit? Sicher, es gibt Lösungen wie BigBlueButton, die meines Erachtens ein guter Kompromiss sind. Aber selbst das ist in manchen Einrichtungen verboten. Warum? Keine Ahnung, fragen Sie die DSGVO.
Der Konflikt wird in den nächsten Jahren meines Erachtens zunehmen. Leider haben gerade viele der deutschen Anbieter von Kommunikations-Tools das Thema Barrierefreiheit bisher nicht auf dem Schirm. Das heißt im Prinzip, dass sie von Einrichtungen des öffentlichen Dienstes nicht eingekauft werden dürfen, nicht-barrierefreie Tools können weder im Bildungsbereich noch im öffentlichen Dienst eingesetzt werden.
„Aber Barrierefreiheit ist doch so teuer“ höre ich von den Anbietern. Nun ja, niemand wirft ihnen vor, dass sie bei den ersten Prototypen nicht darauf geachtet haben. Mag auch sein, dass es in den ersten Jahren für Startups schwierig ist. Aber spätestens, wenn die Software marktreif ist und im Kontext Arbeit/Bildung eingesetzt werden soll, kann und muss man auch an der Barrierefreiheit arbeiten. Und hier fällt es Ihnen auf die Füße, wenn Sie nicht auf Barrierefreiheit geachtet haben.
Fragen Sie sich nicht, ob Sie sich Barrierefreiheit leisten können. Fragen Sie sich lieber, ob Sie sich keine Barrierefreiheit leisten können. Lassen Sie mal alle sozialen Aspekte beiseite. Rechnen Sie nach, wie viel Sie mit einer Software verdienen können, die vom öffentlichen Sektor, vielen NGOs und großen Unternehmen nicht gekauft wird. Den internationalen Markt können Sie ohnehin vergessen, weil fast alle angloamerikanischen Länder strengere Regeln zur Barrierefreiheit haben als die EU. Da bleibt eigentlich nur noch der private Konsumentenmarkt und einige KMUs. Können und wollen Sie sich damit begnügen?