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Mein Rückblick – auf den Zukunftskongress der Aktion Mensch Inklusion 2025

Wer am 2. und 3. Dezember auf Twitter war und sich für Barrierefreiheit interessiert, hat sicher etwas vom Zukunftskongress Inklusion 2025 mitbekommen. Die Diskussionen waren recht vielfältig, so dass ich hier nur ein paar Gedankenfetzen auffangen möchte, mit denen wir als Accessibility-Experten und Interessierte uns schon heute beschäftigen werden müssen. Wenn die Videos im Internet stehen, werde ich hier darauf hinweisen.

Verschärft die Inklusion die Exklusion?

Wie so oft stellt sich auch bei der Barrierefreiheit die Frage, ob die Inklusion der Einen die Exklusion der Anderen verschärft.

So hat sich die Barrierefreiheit für blinde Menschen in den letzten 20 Jahren drastisch verbessert. Vor sechs Jahren hat noch niemand von einem ab Fabrik blindentauglichen Handy geträumt. Als ich 1996 das erste Mal alleine mit der Bahn fuhr, gab es kaum Durchsagen in den Bahnhöfen oder in den Zügen, heute gehören sie zum Standard.

Andererseits hat sich für Gehörlose, Lernbehinderte oder Taubblinde wesentlich weniger getan. In der BITV 2.0 werden sie kaum berücksichtigt, bei der Informationstechnik bleiben ihre Bedürfnisse im Wesentlichen unbeachtet und die Bahn scheint sie einfach zu ignorieren. Im Grunde befinden wir uns also in einer Situation, in der bestimmte Gruppen von Behinderten Anderen gegenüber privilegiert sind. Dafür werde wir Lösungen finden müssen.

Big Data – Geschenk oder Belastung?

Selbstvermessung und das Internet der Dinge versprechen den nächsten Schub bei der digitalen Barrierefreiheit.

So werden die Smartphones in der Lage sein, mit den Dingen in unserer Umgebung zu kommunizieren und so eine wesentlich genauere Standortbestimmung und Navigation zu ermöglichen. Jede Ampel und jeder Zebrastreifen kann seine eigene IP-Adresse bekommen und mich dadurch metergenau lotzen. Die Ampel sagt meinem Smartphone – oder was immer wir dann mit uns herumtragen – ob sie grün ist, Sensoren im Boden teilen mir mit, ob die Straße gerade frei ist. Die S-Bahn teilt mit, wohin sie fährt und das Gebäude, zu dem ich will beschreibt mir den schnellsten Weg, wie ich zu ihm komme. Das alles ist heute schon möglich und nur noch eine Frage des Aufbaus einer entsprechenden Infrastruktur und deren informationstechnischer Integration in ein Gesamtsystem.

Zugleich entsteht dadurch ein gewaltiger Berg an Daten, der dazu auch noch gespeichert werden kann. So wissen die Internet-Dinge, mit denen ich mich verbinde exakt, wo ich mich an einem bestimmten Zeitpunkt befinde, aus meiner Geschwindigkeit kann abgeleitet werden, ob ich es eilig habe oder eventuell krank bin und deshalb langsam gehe. Der Sexshop kann wissen, dass ich 20 Sekunden dort stehen geblieben bin und mir passende Werbung schicken etc. Dabei ist das einzelne Datum weniger wichtig als die sogenannten Meta-Daten und aggregierte statistische Daten, die Rüschlüsse auf die Motive des Einzelnen zulassen. Die Frage des Datenschutzes tut sich mehr denn je auf.

Ich muss sagen, dass ich da relativ unbedarft bin. Man kann natürlich datensparsam leben, nur noch ins Internet-Café gehen und Briefe statt Mails verschicken. Aber wenn Big Brother uns habe will, wird er auch unsere Briefe lesen, uns verwanzen und wir machen uns gerade dadurch verdächtig, dass wir dem digitalen Zeug aus dem Weg gehen. Die Frage ist nicht, ob wir Big Data wollen oder nicht, sondern nur noch, ob wir die Vorteile nutzen wollen, die daraus entstehen und ich werde diese Frage meistens mit „ja“ beantworten.

Mehr Barrierefreiheit bedeutet mehr Selbstbestimmung

Ein Projekt beschäftigt sich damit, wie man CNC-Maschinen für Lernbehinderte zugänglich machen kann.

Der Hintergrund ist recht schnell erklärt. Die Massenproduktion ist heute im kleinen Maßstab nicht mehr rentabel. An deren Stelle tritt die Just-in-Time-Produktion von einzelnen, passgenauen Teilen. Die Stückkosten sind einerseits höher, andererseits kann dadurch auch wesentlich mehr verdient werden. Die Massenproduktion lässt sich weitgehend automatisieren, während bei der Einzelstück-Produktion Menschen verlangt werden, eine interessante Möglichkeit für Behinderten-Werkstätten und andere Produktionsstätten, in denen Lernbehinderte beschäftigt werden. Damit das funktioniert, müssen die Maschinen so gestaltet sein, dass sie von ihnen bedient werden können.

Hier wird spannend sein zu sehen, wie sich die Selbstbestimmung verbessert. Schon heute hat der Chef in konventionellen Betrieben nur koordinierende Aufgaben, während das Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter steckt. In den Behindertenwerkstätten scheint das bisher nicht der Fall zu sein – das vermute ich zumindest, mir fehlt der tiefere Einblick in diese Strukturen.

Hier könnte die Machtverschiebung besonders interessant sein. Lernbehinderte bekommen über die Kontrolle der Maschinen die Kontrolle über den Produktionsprozess. Wenn sie noch die Qualitätssicherung übernehmen, haben die Werkleiter nur noch die Aufgabe, die Maschinen in Schuss zu halten oder sich um die Auftragsabwicklung zu kümmern. Abgesehen davon werden auch normale Gehälter für die Angestellten möglich. Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass die großen Träger heute von den Behindertenwerkstätten profitieren – ganz zu schweigen von anderen Behinderten-Einrichtungen – und genau besehen kein Interesse an der Inklusion und der Auflösung dieser Organisationen haben. Während die Verwaltungsangestellten aber gutes Geld verdienen, leben die Werkstatt-Angestellten auf dem Niveau der Grundsicherung.

Welchen Beitrag sollten Behinderte zur Inklusion leisten?

Im Abschluss-Plenum wurde die Frage gestellt, welchen Beitrag Behinderte zur Inklusion leisten können und müssen. Raul und andere Prominente aus der Behinderten-Szene vertreten die Ansicht, dass die Gesellschaft in der Bringschuld ist, eine Meinung, die ich bekanntermaßen nicht teile. Ich meine, dass jeder Behinderte das leisten muss, was in seinen Möglichkeiten liegt. Dass man diese Möglichkeiten von Seiten der Verantwortungsträger für viele Gruppen verbessern muss, steht außer Frage. Schaut man sich die teils miserable digitale Infrastruktur z.B. beim eGoverment an könnte man meinen, in der Prä-WCAG-Ära zu leben.

Wenn ich aber andererseits sehe, dass viele Behinderte vorhandene Möglichkeiten nicht nutzen, muss ich leider konstatieren, dass Viele das Inklusions-Angebot gar nicht wahrnehmen wollen. Das ist natürlich die Entscheidung jedes Einzelnen, man kann niemanden zur Inklusion zwingen, die Person kann sich dann aber auch nicht über mangelnde Exklusion beschweren.