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Interview mit Casey Kreer über die Arbeit als behinderte Accessibility Consultant


Domingos: So herzlich Willkommen zu einem neuen Podcast zur digitalen Barrierefreiheit. Heute habe ich wieder einen spannenden Gast dabei, nämlich Casey Kreer als Expertin für digitale Barrierefreiheit. Thema ist die Arbeit als behinderte Person in der digitalen Barrierefreiheit.
Casey: Vielen Dank für die Einladung.

Über Casey

Domingos: Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst. Stell dich doch mal den Zuhörenden vor.
Casey: Ja, danke für die Einladung. Ich bin Casey. Ich arbeite als Consultant für digitale Barrierefreiheit und als Softwareentwicklerin. Und manchmal mache ich auch so ein kleines bisschen Aktivismus und versuche irgendwie in öffentlichen Verwaltungen Menschen dahin zu bewegen. Sachen digital zugänglicher zu machen und das Gesetze eingehalten werden. Und das ist dass, womit ich einen Großteil meiner Zeit verbringe.
Domingos: Du hast glaube ich auch irgendwas in Richtung IT studiert.
Casey: Genau, ich hab mal Medieninformatik studiert.
Domingos: Super spannend. Du bist ja selber sehbehindert. Magst du etwas darüber erzählen?
Casey: Ja, also meine Sehbehinderung hab ich seit Geburt und da halt in verschiedenen Tests immer wieder festgestellt. Plus -5% ist meine aktuelle Sehfähigkeit natürlich je nach Situation irgendwie verschieden. Ich persönlich bevorzuge für mich da einfach den Begriff blind, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass Leute einfach grundsätzlich ein bisschen besser verstehen,. Wieviel ich sehen kann oder das zumindest unter dem Begriff blind, nicht überschätzen, was bei mir letztendlich mit meiner Behinderung geht. Also ich sehe nicht so viel, aber ich sehe noch ein bisschen.
Domingos: Arbeitest du visuell oder mit Screenreader?
Casey: Ich arbeite ganz überwiegend mit einem Screenreader.
Domingos: Eine Frage, die immer die Leute interessiert. Windows, Mac oder Linux.
Casey: Ich war ganz lange auf Linux zu Hause, aber bin vor ein paar Jahren zum Mac rüber Geswitcht und für die Arbeit kommt tatsächlich bei mir auch häufiger mal Windows zum Einsatz. Also ich kenn dann alle Systeme, nutze alle und schätze alle.

Der Weg zur digitalen barrierefreiheit

Domingos: Wie bist du zum Thema digitale Barrierefreiheit gekommen?
Casey: Ja, ich glaub ich hab halt sehr früh durch meine Sehbehinderung angefangen zu erkennen, dass ich mit Computern irgendwie sehr viel machen kann und sehr viel Zugang zur Welt bekommen kann. Ich wurde ja inklusiv beschult, das heißt ich hatte jetzt nicht unbedingt so viel Kontakt zu anderen Menschen mit Sehbehinderungen damals und habe dann eben relativ früh angefangen zu programmieren und einfach wirklich versucht meine eigenen Probleme zu lösen. Ich hab dann mal nen Webbrowser programmiert, der mit einer Text to speech Funktionalität kam. Also ganz einfach jetzt nicht wirklich irgendwie was großartiges, Schwieriges, natürlich keine komplette Web Browser engine. Ich glaub damals basierend auf einem Internet Explorer oder so. Und Irgendwann kam dann bei mir noch das Thema Gaming dazu. Ich wollte gern Spiele spielen. Das ging nicht so gut, dann habe ich angefangen kleine Mods zu schreiben um mehr Sachen zugänglich zu machen und dann selbst auf der Basis von Minecraft kleine Minispiele erstellt und die konnt ich dann mit anderen Leuten spielen und das hat sich dann ein bisschen entwickelt, ist ein bisschen größer geworden und dann hatte ich letztendlich Zeug für ein paar tausend Leute zur Verfügung gestellt. Das war so mein Weg in Barrierefreiheit und Usability in diesem Technikbereich.
Domingos: Wie lange arbeitest du in dem Bereich und was hast du aktuell für Projekte?
Casey: Also ich glaube in dem Bereich selbst arbeiten für Geld mach ich seit Anfang 2021 und in meiner jetzigen Selbstständigkeit mach ich seit Ende 2022, also jetzt zweieinhalb, 3 Jahren ungefähr noch nicht ganz so lange, wie viele Leute. Diese die die die Urgesteine in der Branche sind. Und ich mache sehr viel. Vor allem NGO-Kundschaft und mit Universitäten zum Beispiel, aber auch die ein oder andere Kultureinrichtung ist auch dabei, also zum Beispiel Museen, oder ich hatte auch mal ein Theater, mit den ich zusammengearbeitet habe, und das finde ich super toll.

Akzeptanz bei Kunden

Domingos: Das ist ja wahrscheinlich nicht immer ganz einfach, da als Sehbehinderte oder blinde Person mit Kunden zusammenzuarbeiten. Die Akzeptanz ist wahrscheinlich unterschiedlich? Wie ist Deine Erfahrung?
Casey: Also, als ich damals angefangen habe, war das noch anders als heute. Ich habe meine Sehbehinderung tatsächlich eher als Vorteil gesehen, ein Verkaufsargument für die Dienstleistungen, die ich anbiete. Das war vielleicht auch ein bisschen ungewöhnlich, weil solche Erfahrungen nicht so häufig vorkommen und ich damit auch alltägliche Perspektiven einbringen konnte. Erstaunlicherweise hat das für mich damals eine eher geringe Rolle gespielt. Und auch im Umgang mit den Leuten war das oft so. Ich wurde häufig mit Software konfrontiert, die nicht zugänglich war, und es gab wenig Bereitschaft, das zu ändern.
Irgendwann kam dann der Punkt, an dem ich begann, mich online politisch zu äußern und Aktivismus für mehr Barrierefreiheit zu betreiben. Das führte dazu, dass sich meine ursprüngliche Kundschaft weitgehend von mir abwandte. Aber ich gewann dann eine neue, die viel besser zu mir passte. Mit dieser neuen Kundschaft, die oft auch in Bezug auf Barrierefreiheit viel offener ist, ist das Arbeiten für mich – gerade mit meiner Sehbehinderung – deutlich angenehmer und erfüllender geworden. Die Leute, mit denen ich jetzt zusammenarbeite, sind meist wirklich motiviert, etwas zu verändern, und ihnen ist das Thema wichtig. Zumindest in den meisten Fällen. Das empfinde ich als viel intensiver und erfüllender als die Zusammenarbeit mit wirtschaftlich orientierten Kunden.

Domingos: Aber du gehst ja auch wie ich auch transparent damit um. Also bei dir steht es glaube ich auch auf der Webseite relativ deutlich wie auch bei mir. Insofern ist das jetzt keine Überraschung für den Kunden.Man muss es dann auch nicht jedes Mal neu thematisieren, wenn es keinen konkreten Grund gibt, wie siehst du das?
Casey: Ja, ich sehe das genauso. In den meisten Fällen spielt es eigentlich keine große Rolle, mit wem ich zusammenarbeite. Aber es ist natürlich wichtig, dass ich meine persönlichen Erfahrungen, zum Beispiel in Beratungsgesprächen, einbringen kann. Bei mir ist das eben stark von meiner Sehbehinderung geprägt, weil das meine eigene Erfahrung ist. Und ich habe festgestellt, dass Menschen die Probleme der digitalen Barrierefreiheit viel besser verstehen, wenn man ihnen konkrete Beispiele zeigt, wenn man Dinge vergleicht und wenn man erklärt, welche Gedanken man zu einem bestimmten Thema hat.

Akzeptanz in der Barrierefreiheits-Community

Domingos: Das stimmt, die First-Hand-Experience ist da ganz wichtig. Die können die meisten Consultants nicht beisteuern. Mein Eindruck ist auch, dass das beim Kunden einen anderen Eindruck machen kann.
Wie ist Deine Erfahrung, was die Akzeptanz von Consultants mit Behinderung in der deutschen Barrierefreiheits-Community angeht?
Casey: Also, grundsätzlich würde ich sagen, dass die Akzeptanz zumindest bei den größeren, bekannteren Firmen inzwischen da ist. Aber wenn es um echte Repräsentation geht, dann sieht es noch ganz anders aus. Ich denke, das kannst du aus deiner eigenen Erfahrung sicher gut bestätigen. Es gibt einfach wirklich sehr wenige Menschen mit Behinderung, die in diesem Bereich arbeiten. Wenn ich mal darüber nachdenke, fällt mir vielleicht eine Handvoll Menschen mit körperlicher Behinderung ein, die in der digitalen Barrierefreiheit tätig sind. Insgesamt gibt es in Deutschland vielleicht 500 Personen, die in diesem Feld arbeiten – und das ist einfach viel zu wenig, wenn man bedenkt, wie wichtig dieses Thema ist.
Ich finde, dass viele Unternehmen in der Branche immer noch sehr zurückhaltend sind, was die direkte Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderungen betrifft. Oft traut man uns nicht das zu, was wir tatsächlich leisten können. Ich hatte mal ein Bewerbungsgespräch bei einem großen Unternehmen aus dieser Branche, und da wurde mir von einer Führungskraft mehrfach unterstellt, dass ich zum Beispiel keine Kontrasprüfung in Testszenarien durchführen könnte, weil ich angeblich zu langsam wäre. Diese Art der Wahrnehmung scheint leider in der ganzen Branche verbreitet zu sein.

Domingos: Das trifft auch meine Erfahrung. Ich hatte mich ebenfalls bei einem großen Dienstleister beworben, allerdings keinen Grund für die Absage bekommen. Wie hoch schätzt du den Anteil von Menschen mit Behinderung in der deutschen Szene?
Casey: Also, das sind wirklich nicht viele, und was mir in den letzten Jahren aufgefallen ist, ist, dass immer mehr Menschen entdecken, dass sie in irgendeiner Form neurodivergent sind und sich daher, ganz zu Recht, selbst als behindert bezeichnen. An dieser Stelle möchte ich allerdings persönlich differenzieren, weil Neurodivergenz üblicherweise nicht das typische Zielpublikum für digitale Barrierefreiheitsmaßnahmen ist. Man kann diese Art der Behinderung eben nicht so einfach mit einer Sehbehinderung vergleichen. Bei einer Sehbehinderung könnte man vielleicht noch Parallelen zu einer motorischen Behinderung ziehen, weil sich die typischen Interaktionsmuster mit Software, unterstützt durch verschiedene Hilfsmittel, relativ ähnlich gestalten. Aber bei Neurodivergenzen ist das eine ganz andere Herausforderung.
Domingos: Wie schaut es mit der internationalen Szene aus?
Casey: Es gibt natürlich viel mehr Unternehmen in diesem Bereich. Ob es insgesamt mehr Menschen mit Behinderung sind, weiß ich nicht genau, aber es gibt auf jeden Fall deutlich mehr prominente Persönlichkeiten mit Behinderung. In Deutschland fallen uns vielleicht nur wenige ein, wenn man nach blinden Personen in der Barrierefreiheitsbranche fragt – vielleicht sind wir beide diejenigen, die man da nennen würde. International gibt es da allerdings viele mehr, die man nennen könnte, und die haben vermutlich auch einen deutlich größeren Einfluss. Ob es insgesamt mehr sind, kann ich allerdings nicht sagen.

DomingosAlso, es gibt insgesamt natürlich mehr Personen mit Behinderung in der internationalen Szene, weil sie einfach viel größer ist, , aber wir wissen nicht, ob der Anteil höher ist.
Casey: Ja, also ich schätze mal, prozentual wird es relativ ähnlich aussehen.
Domingos: Wenn du einen Wunsch an die Barrierefreiheit Community hättest jetzt egal ob die Deutsche oder die internationale. Was wäre das?
Casey: Ich möchte auf jeden Fall jedes Mal wieder dazu anregen, wirklich sinnvolle Arbeit zu leisten und nicht aus den Augen zu verlieren, dass wir am Ende Arbeit für Menschen machen. Leider wird das meiner Ansicht nach oft vergessen. Viele sind dann immer so begeistert, wenn man sagt: „Oh, jetzt gibt es mal wieder die Möglichkeit, mit Menschen mit Behinderungen zu sprechen.“ Aber das sollte der Standard sein. Menschen mit Behinderungen müssen viel sichtbarer in dieser Branche werden und deutlich mehr in den Arbeitsalltag von Consultants eingebunden werden. Nur so kann sich langfristig etwas verändern.
Wir haben den großartigen Leitsatz „Nichts über uns ohne uns“, den die Behindertenrechtsbewegung immer wieder propagiert. Doch in der Barrierefreiheits-Community sind wir meiner Ansicht nach noch extrem weit davon entfernt. Es gibt ganze Verbände und viele große Firmen, bei denen nicht einmal eine einzige Person mit Behinderung angestellt ist. Und diese Unternehmen sind dann diejenigen, die den gesamten Diskurs prägen und als offiziell und maßgeblich gelten. Vielleicht sollten wir endlich davon wegkommen, uns selbst als diejenigen zu sehen, die definieren, was digitale Barrierefreiheit bedeutet, und den Ball mal an die Verbände weitergeben. Wir könnten sagen: „Lasst uns das doch gemeinsam erarbeiten. Wir bringen die technische Expertise mit, aber es braucht auch die Perspektive der Betroffenen.“
Denn das setzt voraus, dass man tatsächlich über die nötige technische Expertise verfügt. Und das geht weit über das hinaus, was man zum Beispiel in den WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) finden kann. Ich nehme wahr, dass viele Leute sich nur darauf konzentrieren und ihre Zeit damit verbringen, Software zu testen, ohne die Fähigkeiten, die sie haben, darüber hinaus einzusetzen. Es fehlt an einem tieferen Verständnis dafür, wie man Barrierefreiheit wirklich gestalten kann.

Domingos: Eine Frage würde mich noch interessieren, ist im Zusammenhang mit der WCAG. Hast du auch die Erfahrung gemacht, dass viele Sachen zwar auf dem Papier eigentlich ganz gut barrierefrei sind, aber ne ganz schlechte User Experience für uns haben. Also sowohl mit Screenreader als auch wenn man mit ser Rest damit arbeitet, dass man einfach weiß ich nicht zu viele Tasten gleichzeitig drücken muss oder dreimal klicken muss statt einmal um bestimmte Aktionen auszuführen und findest du auch, dass das Thema User Experience da einfach zu kurz kommt für uns?
Casey: Ja, auf jeden Fall. Ich kann da auch eine kleine Anekdote teilen. Ich hatte vorhin eine Kundin, mit der ich über ihren Webshop gesprochen habe. Die Aussage von ihnen war: „Wir möchten erstmal die Grundlagen umsetzen, damit der Shop überhaupt benutzbar ist.“ Ein Problem, das wir festgestellt haben, war, dass das Menü auf der mobilen Ansicht überhaupt nicht bedienbar war. Es gab ein typisches Hamburger-Menü, das sich zwar ausklappen ließ, aber danach kam man nicht mehr heraus. Man konnte das Menü nicht schließen oder benutzen. Das sind natürlich grundlegende Probleme, die man sofort merkt.
Als dieses Problem dann gelöst wurde – was glücklicherweise nicht allzu kompliziert war – war die Usability danach immer noch alles andere als gut. Ich sagte ihnen dann auch, dass die Leute wahrscheinlich nicht gerne in ihrem Shop einkaufen werden, obwohl es jetzt zumindest funktioniert. Und das passiert leider ziemlich häufig. Aber ich glaube, das passiert in die andere Richtung genauso oft. Viele sagen dann: „Ja, OK, es ist vielleicht nicht auf dem Papier 100 % barrierefrei, aber im Endeffekt kommen wir ganz gut damit klar.

Domingos:: Vielen Dank für diese Einschätzung. Wo kann man die am besten folgen, außer auf deiner Website.
Casey: Also meine Website ist hauptsächlich Business. Wenn mich irgendwer für irgendwas anstellen will, dann wahrscheinlich darüber. Das Gleiche gilt für linkedin und wer sich ein bisschen über Hintergründe der Deutschen Internationalen Accessibility Branche informieren möchte, wer sich ein bisschen dafür interessiert, wieviel Unsinn da passiert. Hauptsächlich dann gerne auf Mastodon. Da bin ich auf Chaos social als @kc, , Da passieren relativ viele spannende Dinge und manchmal schreib ich Artikel für diverse Webportale, wo ich Sachen auseinandernehme.
Domingos: Dann vielen Dank für das Interview.
Casey: Danke für die Einladung.
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