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Muss alles für alle verständlich sein – Grenzen einfacher und leichter Sprache

Die Diskussion um Verständlichkeit nimmt manchmal seltsame Züge an. In letzter Zeit habe ich häufiger die Kritik gesehen, dass bestimmte Fachtexte nicht allgemein-verständlich seien. Da ging es vor allem um Leichte und Einfache Sprache, aber auch um digitale Barrierefreiheit.
Vorneweg gebe ich gerne zu, dass ich viele Texte aus meiner ehemaligen Disziplin auch nicht mehr verstehe. Ich habe Politikwissenschaft im Hauptfach studiert und Soziologie als Nebenfach. Aus Interesse hatte ich mir Bücher von zwei aktuell bekannten Soziologen – Hartmut Rosa und Andreas Rägwitz – angelesen. Nun ja, ich habe die Lektüre relativ schnell abgebrochen. Das sind keine populärwissenschaftlichen Abhandlungen, sondern wissenschaftliche Texte, die nur mit dem entsprechenden Vokabular verstanden werden bzw. viel Konzentration erfordern, was ich für so ein Thema beides nicht aufbringen kann. Ich bezweifle, dass viele der Käuferinnen dieser Bücher ohne entsprechenden Hintergrund oder Zeit die Bücher zu Ende gelesen haben.
Das ist aber der Unterschied zwischen populärwissenschaftlichen und Fachbüchern. Letztere erheben gar nicht den Anspruch, für alle verständlich zu sein. Man müsste den Spagat schaffen, den Einsteigenden zu informieren, ohne den Profi zu langweilen. Das ist kaum zu schaffen, das ist das erste Argument. Im Endeffekt ist das ein Fachdiskurs, an dem Laien einfach nicht teilnehmen können. Das klingt arrogant, ist es aber nicht. Ich würde mir auch nicht anmaßen, einem KFZ-Elektroniker oder Klempner in sein Thema reinzureden. Vielleicht ist das ein Grundfehler unserer Zeit, dass jeder glaubt, überall mitreden zu können. Wir haben 80 Millionen Fussball-Profis, Klima-Experten, Virulogen und jetzt natürlich auch Experten für den Russland-Ukraine-Komplex.
Das zweite Argument ist, dass es sich vor allem in der Leichten und Einfachen Sprache um Meta-Kommunikation handelt, also um Kommunikation über Kommunikation. Warum sollte jemand, der Probleme mit der Alltagssprache hat, sich ausgerechnet Texte über verständliche Sprache anschauen? Weiß er nichts Sinnvolles mit seiner Zeit anzufangen? Analoges gilt für die digitale Barrierefreiheit. Hier gibt es ja zahlreiche Abstufungen. Es gibt Artikel von Entwicklern, die sich an Entwicler richten und es gibt Artikel etwa bei The Verge oder Forbes, die sich an eine Allgemeinheit richten.
Es gibt natürlich Luft nach oben, was die Verständlichkeit und die Gestaltung von Texten angeht. Bandwurmsätze sind kein Schicksal. Aber im Endeffekt sind das Inhalte für Fachleute, die Fach-Diskurse führen. Man kann nur zu einem gewissen Grad vereinfachen, ohne dass es entweder banal oder falsch wird. Muss man zum Beispiel alle Begriffe und Konzepte erklären, werden die Texte aufgebläht. Ich kenne das von aufgeblähten Leichte-Sprache-Texten, die praktisch nur aus Begriffs-Erklärungen bestehen.
Im Endeffekt – und das ist das dritte Argument – ist Verständlichkeit auch ein Fach-Handwerk. Zu der Erkenntnis bin ich nach langer Zeit gekommen. Jede arbeitende Person ist Experte in ihrer Arbeit. Zugleich erwarten wir aber im heutigen Arbeits-Alltag, dass sie eine Menge Dinge noch nebenbei tut. Der Sachbearbeiteende soll nicht nur die aktuellen Paragraphen und Ausführungs-Vorschriften kennen – er soll auch noch verständliche Briefe schreiben können. Die Wissenschaftlerin soll nicht nur fachlich exzellent sein, sondern auch noch allgemein-verständlich kommunizieren. Es gibt Leute, die das schaffen. Aber das können die Meisten nicht und es banalisiert auch die Arbeit der Verständlichkeits-Profis. Alle professionellen Autorinnen haben Leute, die ihre Bücher lektorieren, also Profis für Verständlichkeit.
Fachtexte können sich schlichtweg weder an die breite Allgemeinheit noch an Profis aus anderen Fachgebieten wenden – Argument Nr. 4 – weil sie ein gewisses Maß an Fachwissen genau in diesem Fachgebiet voraussetzen. Bei den Naturwissenschaften wird das selbstverständlich genommen, aber bei den Geistes- und Sozialwissenschaften ist das nicht anders. Immerhin gibt es heute aber zahlreiche Profis, die Artikel in der Presse, Radio-Interviews oder Podcasts nutzen, um ihre Thesen verständlicher zu erklären. In der Regel neigt man bei der mündlichen Kommunikation zu weniger komplexen Ausdrucksweisen.
Da die Ressourcen auf beiden Seiten begrenzt sind, werden wir auf absehbare Zeit nicht dazu kommen, dass alles oder auch nur ein Bruchteil verständlicher wird. Vielleicht wird es in absehbarer Zeit Tools geben, die uns im Alltag dabei unterstützen, aber bis auf Weiteres müssen wir uns mit der aktuellen Situation abfinden.
Must everything be understandable for everyone?